Mediale Achse

Seit Jahren beschäfti­gen wir uns am Welfen­lab mit der Un­ter­suchung ver­schiedener Konzepte der (Dif­fer­en­tial-)Geome­trie: kürzeste Pfade auf Man­nig­faltigkeiten, Voronoi-Di­a­gramme, Me­di­ale Achse, Geodätis­che Kur­ven oder Cut Locus sind alle­samt Kon­struk­tio­nen, die auf dem Be­griff des Ab­standes, bzw. der Ent­fer­nung basieren.

Neuestes Forschungs­ge­biet ist die An­wen­dung von Konzepten aus dem Bere­ich der Me­di­alen Achse auf Prob­leme aus der Um­formtech­nik. Mehr In­for­ma­tio­nen hi­erzu finden Sie auf der Web­seite des Pro­jekts.

Eine Übersicht über diese Konzepte findet man in dem von Prof. Wolter im Jahre 2000 gehal­te­nen Vor­trag an der Brown Uni­ver­sity, Prov­i­dence, USA.

Die Wahrnehmung höherentwickelter Organismen geht über die Bestimmung lokaler Eigenschaften eines Objekts wie Farbe, Intensität, Winkel oder Geschwindigkeit und die Bestimmung von Eigenschaften des gesamten Gesichtsfeldes, wie die Beleuchtungsstärke, hinaus. Die globale Form eines Gegenstands ist jedoch nicht einfach zu erfassen. In den 60er Jahren entwickelte der Biologe Harry Blum einen Vorschlag, um eine globale Beschreibung der Form eines Körpers zu konstruieren, die es erlaubt inhärente Eigenschaften der Form zu extrahieren. Die von ihm Mediale Achsen Transformation (MAT) genannte Methode ist eine fundamentale geometrische Operation, die in vielen Gebieten Anwendung findet.

Blums Ansatz bestand darin, den betreffenden Körper durch zwei eindeutige, wohldefinierte Teile, die Mediale Achse (MA) und eine auf ihr definierte Radiusfunktion zu beschreiben. Dieser Ansatz ist intuitiv verständlich, wenn man die Mediale Achse als das "Skelett" des Körpers und die Radiusfunktion als die Dicke des einen Punkt umgebenden "Fleisches" deutet.

Die Bezeichnung Mediale Achse ist leicht irreführend, da es sich nicht um eine Achse im gebräuchlichen Sinne handelt, sondern wie schon gesagt um ein "Skelett" des Körpers, dessen Dimension um eins geringer ist als die des Körper selbst. Blum gab in seiner ursprünglichen Arbeit nur eine Definition der MAT für Gebiete der Ebene, für die der Begriff ganz natürlich ist. Allerdings lässt sich die MAT intuitiv auf höhere Dimensionen erweitern. In solchen höherdimensionalen Räumen muss man dementsprechend von Medialer Fläche, bzw. Medialer Hyperfläche sprechen.

Eine sehr illustrative Beschreibung der Medialen Achse liefert der sogenannte Wellenfront- oder Steppenbrand-Algorithmus:
Man stelle sich ein geschlossenes Gebiet in der Ebene vor, von dessen Rand aus eine Wellenfront (oder Flammenwand) mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in das Innere des Bereichs wandere. Es entstehen Punkte, an denen sich diese Front selbst schneidet (eine weitere Ausbreitung oder Superposition der Wellenfront wird nicht erlaubt, die Ausbreitung der Wellenfront stoppt hier). Diese Punkte bilden die Mediale Achse. Die Radiusfunktion, die auf den Punkten der Medialen Achse definiert ist, gibt den Zeitpunkt an, an dem die Wellenfront den Punkt erreicht.

Die Punkte an denen die Wellenfront sich selbst schneidet, zeichnen sich dadurch aus, dass hier die Ableitung der Abstandsfunktion vom Rand des Objektes unstetig wird; es gibt dort zwei kürzeste Verbindungen zum Rand. Diese Feststellung ist Grundlage einer anderen, etwas komplizierteren Charakterisierung: Die MA ist die Menge der Mittelpunkte aller im Körper enthaltener maximaler Bälle. Die Radiusfunktion gibt dann den Radius des Balles um ein bestimmtes Zentrum an.

Voronoidiagramm und Cut Locus

Betrachtet man die Mediale Achse eines Polyeders, so stellt man fest, dass in diesem Falle eine enge Verwandtschaft zum verallgemeinerten Voronoidiagramm des Polyeders besteht.

Das (zweidimensionale) Voronoidiagramm einer Menge von n Punkten (Orten) ist eine Partitionierung der Ebene in n Teilgebiete (Voronoizellen). Jede dieser Zellen korrespondiert mit einem der Orte und alle Punkte einer Zelle liegen näher an ihrem Ort, als an einem der anderen Orte.

Man kann dieses Konzept verallgemeinern und als Orte nicht nur Punkte sondern Mengen zulassen oder komplexere Räume als die Euklidische Ebene betrachten. Die Kernidee ist davon unabhängig, solange nur eine Abstandsfunktion zu den Orten definiert ist, so dass man für jeden Punkt des Raumes feststellen kann, welches der ihm nächste Ort ist.

Betrachtet man die Vereinigung V aller Orte, so kann man zu dieser Vereinigung eine Abstandsfunktion dV definieren, indem man sagt der Abstand eines Punktes zu V sei das Minimum der Abstände zu den einzelnen Orten.

Die Punkte, die zu zwei Orten kürzeste Verbindungen haben, bilden nun gerade die Ränder der Voronoizellen, in denen die Abstandsfunktion dV nicht stetig differenzierbar ist. Genau diese Eigenschaft ist es, die auch die Punkte der Medialen Achse eines Körpers auszeichnet: Sie sind Unstetigkeitsstellen der Ableitung der Abstandsfunktion vom Rand.